„Cricket, ist das nicht das Spiel, bei dem man so Bälle durch so Törchen schießen muss?“ – „Nein, das ist Crocket“. So ungefähr ist der Wissensstand von Menschen außerhalb eines Commonwealth-Staats (Anwesende bis vor kurzem eingeschlossen) in Sachen Cricket. Oder? „So ähnlich wie Baseball“ trifft es schon eher, wobei beiden Spielen gemein ist, dass außerhalb der betreffenden Länder kaum jemand die Regeln kapiert.
Nun läuft gerade der Cricket-Worldcup in Australien und Neuseeland, und das ist ein Ereignis, das bei uns zwar niemand kennt, in den beteiligten Ländern aber mindestens so viele Zuschauer vor die Fernseher lockt wie in Europa, Südamerika und Afrika die Fußball-Weltmeiserschaft. Und da in Napier ein Spiel der neuseeländischen Nationalmannschaft, der Black Caps, gegen Afghanistan stattfand, habe ich flugs Tickets besorgt.
Die Aussicht, völlig plan- und ahnungslos im Stadion zu sitzen, verlockte uns nicht gerade. Zumal wir gehört hatten, dass so ein Cricket-Spiel durchaus Längen haben kann. Also bereiteten wir uns vor: In den Tagen vor dem Spiel schauten wir ein paar Übertragungen im Fernsehen an, hatten parallel Wikipedia und diesen sehr aufschlussreichen Link offen, um bei jeder Aktion nachzugucken, was das wohl gerade gewesen sein könnte. Und tatsächlich hatten wir irgendwann die wichtigsten Grundregeln kapiert und fühlten uns präpariert genug für den Stadionbesuch.
Das Stadion, der McLean Park in Napier, fasst gut 20.000 Zuschauer und wird für Cricket und Rugby genutzt. Da ein Cricket-Spiel mehrere Stunden dauert, hatte das Ganze etwas von Familienausflug, viele rückten mit Kind und Kegel und riesigen Picknickkörben an, bereit, den ganzen Tag im Stadion zu verbringen. Die Atmosphäre war entspannt, fröhlich und wohlwollend sowohl beim Spiel selbst als auch beim Drumherum. Auf dem Weg ins Stadion lief vor uns eine Familie, bei der der Vater ein Afghanistan-Trikot trug und die Söhne Black-Caps-Fahnen schwenkten. Neben uns saßen zu Beginn ein paar Afghanen, die mit den neuseeländischen Kindern in der Reihe davor schäkerten, später saßen ein paar Inder neben uns (Indien nimmt natürlich auch am World Cup teil), die Neuseeland anfeuerten. Gute Aktionen wurden von allen beklatscht, egal, wer sie ausführte. Buhrufe, wie man sie in deutschen Stadien ja gern mal hört, zuweilen sogar für Spieler der eigenen Mannschaft: hier undenkbar.
Das Spiel selbst … nun ja. Es ist nicht gerade nervenzerfetzend, um es vorsichtig zu umschreiben, auch wenn einige Neuseeländer, mit denen ich darüber sprach, das Gegenteil beteuern. Ich versuche mal, es in ein paar Sätzen zu erklären: Ein Spiel beim Weltcup besteht aus zwei Innings – so was ähnliches wie Halbzeiten. Im ersten Innings kann die eine Mannschaft punkten, im zweiten die zweite. Die punktende Mannschaft hat zwei Schlagleute (batsmen) auf dem Platz, von der gegnerischen sind alle 11 Feldspieler auf dem Platz, wovon einer der Werfer (bowler) ist. Der Werfer versucht, den Ball so zu werfen, dass der Schlagmann ausscheidet. Das wiederum kann auf verschiedene, zum Teil kompliziert geregelte Arten geschehen (das führt hier zu weit, kann man auf den oben verlinkten Seiten nachlesen). Der Batsman wiederum versucht, Punkte (runs) zu machen. Das klappt hauptsächlich dadurch, dass er den Ball ordentlich weit wegpfeffert und mit seinem Partner den Platz tauscht, während die Feldspieler des Gegners versuchen, den Ball zu erwischen, bevor er aus dem Feld rollt oder fliegt. Haut der Schlagmann den Ball gleich so weit weg, dass er für die gegnerischen Feldspieler unerreichbar ist, gibt es mehrfache Punkte.
Ein Innings wird aber nicht nach einer festgelegten Zeit beendet, sondern nach 50 Wurfserien (overs) oder wenn der 10. Schlagmann ausgeschieden ist. Ein Over besteht aus 6 Würfen eines Werfers. Ein Innings kann also recht schnell zu Ende sein, wenn es den Angreifern gelingt, die Schlagleute schnell rauszuhauen. Es kann aber auch die 50 Overs (300 Würfe) dauern, und das waren in unserem Fall 4 Stunden, inkl. Trinkpausen und anderen Unterbrechungen. Im zweiten Innings muss nun die gegnerische Mannschaft mehr Punkte erzielen als die erste. In unserem Spiel hatte Afghanistan 186 Punkte (runs) erzielt, als sein 10. Schlagmann im 47. Over ausschied. Neuseeland hatte bis dahin alle seine Spiele gewonnen – so auch dieses: Die Black Caps brauchten im zweiten Innings 36 Overs, um 188 Punkte zu erzielen und hatten noch 6 Schlagmänner übrig.
Sicher gibt es immer zwischendrin mal spannende Szenen, aber es ist kein Vergleich zum Nervenzerfetzpotenzial eines Spiels bei der Fußball-WM, bei dem man sich höchstens in der Halbzeit mal traut, nicht aufs Spielfeld bzw. den Bildschirm zu starren. Bei diesem Cricketspiel konnte man problemlos zwischendrin mal eine halbe Stunde am Pommesstand anstehen, ohne viel zu verpassen. Unterhaltsam war es für uns schon, unter anderem auch deswegen, weil wir natürlich längst nicht alle Regeln, Wertungen und Schiedsrichterentscheidungen verstanden haben und daher häufiger ins Grübeln bzw. in den Dialog mit unseren Sitznachbarn kamen. Das war ziemlich interaktiv! Ein paar Kuriositäten des Spiels listet die Wikipedia auch auf.
Was die Dynamik und Sportlichkeit des Spiels betrifft, so haben wir gemutmaßt, dass es von britischen Kolonialisten erfunden wurde, die in Indien und anderen Ländern irgendwie die Zeit totschlagen mussten, und das möglichst, ohne sich in der Hitze zu viel zu bewegen. Denn die meiste Zeit wird doch recht viel rumgestanden bei dem Spiel (ein bisschen wie beim früheren Standfußball der deutschen Elf, der zum Glück Geschichte ist). Dieser Verdacht ist natürlich unzulässig – die Entstehungsgeschichte fing viel früher an, hier ist sie nachzulesen. Und ich habe mir von Kennern sagen lassen, dass es durchaus Spiele gibt, die vor allem in der Endphase sehr spannend sind. Deshalb werden wir uns bestimmt auch ein paar Spiele der KO-Runde anschauen – auf jeden Fall jene, bei denen die Black Caps beteiligt sind.
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2 Kommentare
… nicht Dein Ernst!? Ihr schaut Euch noch „ein paar Spiele“ davon an? Klingt beinahe so spannend, wie einem Angler beim Angeln zuschauen … ;-)
Also, gestern Abend haben sich die Black Caps ins Halbfinale geschossen, und das werden wir am Dienstag zumindest nebenher im Fernsehen laufen lassen und immer mal hingucken :-).