„Ab jetzt sagen wir alle ‚Du‘ – per Sie können wir nicht zusammen jodeln“, „Eure Alltagspäckchen könnt ihr hier ablegen – wenn ihr sie wiederhaben wollt, nehmt ihr sie nachher auf dem Rückweg einfach wieder mit“, „Wenn wir stehen, rede ich; ihr könnt reden, wenn wir laufen“ – Loni Kuisle weiß, was gut für uns ist, und sie macht klare Ansagen. Wir sind rund 20 Leute aus allen möglichen Gegenden, die heute für einen Tag mit ihr zusammen wandern und jodeln wollen.
Alles begann damit, dass ich vor einiger Zeit den wunderbaren Musik-Dokumentarfilm „Sound of Heimat“ gesehen habe. In diesem gibt es eine Sequenz, in der man die sympathische Allgäuerin sieht, wie sie eine Gruppe Menschen in die Berge führt und ihnen das Jodeln beibringt. Dieses Jodeln hatte nichts mit dem Musikantenstadl-Zeug dirndlbewehrter Gesangsduos zu tun, sondern ging mitten ins Herz. Intensive Töne, wunderbare Harmonien, das alles in atemberaubender Landschaft – ich saß davor und sagte: „Das will ich auch“.
Und heute war ich da. Natürlich hatte mein Umfeld belustigt reagiert, das Jodeldiplom von Loriot zitiert und mich beglückwünscht, dass ich dann endlich was Eigenes hätte. Also alles normal.
Ich habe ganz viel gelernt und mitgenommen von diesem Tag. Habe kurz nach dem Beginn meine Uhr abgenommen und das Handy abgestellt, denn wir wollten den Alltag zurücklassen, die Natur genießen und in Klängen baden. Loni führte uns freundlich-resolut die steilen Wege hinauf und hinunter, ließ uns an besonderen Orten zu unseren Urlauten finden, jodelte mit uns und gewährte so Einblicke in die Allgäuer Seele. Ich habe gelernt, dass das Jodeln im Allgäu ganz anders klingt als das, was man gemeinhin als Jodelunkundige so kennt. Es ist vornehmlich ruhig und getragen, kommt mit wenigen Silben aus und macht ganz andächtig. Wunderschön.
Nach ein paar Lockerungs- und Jodelübungen führte uns Loni schon beim dritten Stopp zum ersten dreistimmigen Jodler, und viele weitere sollten folgen. Unglaublich, welche Klänge eine so bunt zusammengewürfelte Gruppe – größtenteils ohne Jodelerfahrung – erzeugen kann. Das klingt jetzt so, als wäre das total einfach. War es nicht, wie sich bei den Wiederholungen zeigte, bei denen wir fast alle den vorhergehenden Jodler schon wieder vergessen hatten. Auch die Melodiefolgen wurden mit Fortschreiten des Tages immer komplexer – und die häufige Hintergrundmelodie aus Kuhglocken machte das Tönehalten nicht einfacher.
In der Mittagspause auf der Alpe Oberberg erhielten wir einen Einblick in das Leben auf einer Sennalpe, also einem Betrieb, der Käse und seine Begleitprodukte (Molke, Butter usw.) herstellt. In fünfter Generation lebt die Familie Beck von der Käserei – mit angeschlossenem Wirtsbetrieb, wo man die Köstlichkeiten gleich zur Brotzeit verspeisen und auch zum Mitnehmen erwerben kann.
Die Sennerei ist ein harter Job, der nichts Romantisches hat – der Arbeitstag beginnt morgens um 4 Uhr, zweimal täglich wird gemolken und Käse gemacht, dazwischen sind Gäste zu bewirten. Mal abgesehen von der Käseherstellung an sich fand ich die Vorstellung, dass täglich zig Käselaibe, die jeder zwischen 20 und 40 Kilo wiegen, aus dem Regal gehoben, eingepinselt und gedreht werden müssen, wenig einladend. Rund eineinhalb Stunden täglich gehen nur für dieses Käsewuchten drauf. Ins Fitnessstudio muss der junge Senn jedenfalls nicht. Rund 65.000 Liter Milch verarbeitet die Familie in einem Sommer, im Winter geht sie anderen Jobs im Tal nach. Die 33 Milchkühe sind übrigens nicht im Besitz der Familie, sondern von umliegenden Bauern gegen ein Milchgeld geleast (geleaste Kühe!).
Nach der Stärkung mit Käse und anderen hausgemachten Leckereien und solchermaßen horizonterweitert ging es wieder zurück ins Tal – immer wieder unterbrochen von Jodeleinlagen an besonderen Orten. Einmal sogar inklusive Kuhkontakt – ein kleiner Trupp halbwüchsiger Kühe zeigte sich äußerst interessiert an unseren Rucksäcken. Gegen Ende gab es für alle dann doch noch das Jodeldiplom – im übertragenen Sinne: in Form eines mutig überstandenen Jodelsolos, harmonisch unterlegt vom vielstimmigen Summen der Mitjodelnden.
Was für ein besonderer, wunderbarer Tag.
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