Carla Wagener rennt
Neulich las ich in der Zeitung von einem Hotelzimmer, das der findige Inhaber wie einen Hamsterkäfig gestaltet hat. Fitnesseinheit im Hamsterrad inklusive.
Angeblich richtet sich das Angebot an Hamsterliebhaber und/oder Leute, die einfach mal in einem etwas verrückten Ambiente schlafen wollen: Der temporäre Bewohner kann seine Körperbeherrschung nämlich beim Trinken aus einem Springbrunnen unter Beweis stellen und sich mittels Körnerfutter aus dem Spender gesund ernähren. Der Gipfel aber ist das überdimensionale Hamsterrad, in dem der Käfigbewohner nach seiner Müslimahlzeit eine Runde rennen kann. Am Ende erzeugt er vielleicht damit noch den Strom für die Behausung?
Also wirklich. Rennen wir nicht ohnehin tagein, tagaus im Hamsterrad? Schneller, höher, weiter: morgens lange vorm Wachwerden in die Jogging-Klamotten springen und im Park den Kreislauf auf Touren bringen. Dann zur U-Bahn rennen und ins Büro hetzen, dort den To-dos hinterherhecheln, nach Büroschluss in Eile das Nötigste hamstern, um dann abends was Ausgewogen-Gesundes auftischen zu können? Nach dem Nachtmahl noch schnell das Privatleben organisieren und dann ermattet für eine viel zu kurze Nacht in die Kissen sinken. Dagegen ist dieses nachgebaute Hamsterrad ja fast schon erholsam … also doch keine so schlechte Idee?
Für notorische Faulenzer wäre es ja vielleicht eine Option. Da kämen sie im Urlaub auf Trab, anstatt nur im Reisebus oder auf dem Badelaken abzuhängen. Spontan muss ich an meinen Kollegen Georg denken, für den das doch echt mal ein Kreislaufbeschleuniger wäre. Meines Wissens ist er ausschließlich Passivsportler, der am liebsten andere auf der Mattscheibe schwitzen lässt. Bestimmt ist ihm selbst ein Besuch im Stadion (mit Sitzplatz!) zu anstrengend! Also renne ich rüber zu Georg, der wie immer mit den Füßen auf dem Tisch in sich ruht, und schlage ihm einen Wochenendtrip mit Hamsterrad vor: „Wie wär’s, Georg? Da könntest du mal Aktivurlaub machen!“ Doch zu meiner Verblüffung sieht er das völlig anders: Er sei schon im Alltag so aktiv und habe so viele Sporttermine, dass er gar nicht die Zeit finde, in Urlaub zu fahren. – Sporttermine? Georg ein Sportler? Habe ich ihn etwa unterschätzt? Verbirgt sich unter der schlabberigen Cordhose am Ende ein gestählter Athletenleib? Oder meint er doch nur irgendwelche Treffen mit Kumpels, wo sie gemeinsam bei Bier und Chips Fußball gucken? Ich fasse mir ein Herz und frage nach – schließlich ist das die Gelegenheit, diese verborgenen Seiten an ihm kennenzulernen.
Da kommt er so richtig in Fahrt, mein vermeintlich so behäbiger Kollege: Montags gehe er zu „Dealing & Bidding“, mittwochs zu „Pawns & Kings“ und freitags sei „Pins & Bowls“ angesagt. Am Wochenende habe er Turniere, manchmal sogar in allen drei Disziplinen. Da käme er ganz schön ins Schwitzen! Ich verstehe nur Bahnhof. Georg scheint heimlich irgendwelche hippen Trendsportarten auszuüben! Wieso habe ich das noch nie mitgekriegt? Ich will gerade fragen, was für geheimnisvolle Disziplinen das sind, da verrät mir sein Grinsen, dass er mich hinters Licht geführt hat: Er geht zum Skat, zum Schach und zum Kegeln!
Mein Weltbild stimmt wieder und ich lasse ihm den Prospekt mit dem Hamsterrad-Hotel da.
Erschienen in CWT Connect Magazine, Ausgabe 02-2012
Illustration: Matthias Seifert
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