Carla Wagener fährt Zug
Ich sitze im ICE, eine Gruppe vergnügter Damen steigt zu. Es bleibt erstaunlich ruhig, denn: Mit vollem Mund spricht man nicht.
Der Zug hat soeben den Bahnhof verlassen, schon wühlt die erste der reisenden Damen in ihrem riesigen Rucksack und fördert etwas verschämt eine nach Wurst duftende Tüte zutage. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen, dabei hab ich gerade erst gefrühstückt! Es folgt eine Kettenreaktion, in Rekordzeit bedeckt Ess- und Trinkbares sämtliche Ablageflächen: klassische Schinken- und Käsebrote, hippe Boxen mit Gemüsesticks, Pumpernickelstückchen und Cherrytomaten, Bananen und Äpfel als traditionelles Reiseobst. Aus Butterbrottüten (jenen knisternden Behältnissen, die wegen sofortigen Durchweichens für nichts so wenig geeignet sind wie für Butterbrote) lugen Knackwürstchen. Ich möchte auch eins! Croissants, Weingummi und Schokoriegel locken Süßmäuler. Für den Durst gibt’s Mineralwasser (medium), Apfelschorle und Nichterkennbares in stylischen Metallflaschen.
Gerüche nach Essbarem wabern durch den Großraumwagen. Mein Magen grummelt und ich grüble: Laut Reservierung werden die Damen zwischen drei und vier Stunden im Zug sitzen – eigentlich eine akzeptable Zeitspanne für eine Esspause zwischen zwei Mahlzeiten. Sie machen sich jedoch an die Vernichtung des Mitgebrachten, als hätten sie sieben Tage Kohlsuppe hinter sich. Fragen drängen sich auf: Warum haben sie für die paar Stunden Zugfahrt eine Wochenration Verpflegung eingepackt? Hat die Zubereitung der Fressalien länger gedauert als das Kofferpacken? Haben sie vielleicht nur die erste Etappe einer Weltreise vor sich und wissen nicht, wie die Versorgungslage ab Hannover ist? Oder sind es Anti-Diät-Aktivistinnen, die jeglicher kulinarischen Beschränkung den Kampf angesagt haben? Die Grundsatzfrage ist jedoch: Warum verspüren Menschen, sobald sie sich in einem fahrenden, fliegenden oder schwimmenden Transportmittel befinden, diesen unwiderstehlichen Essensdrang?
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Ein Kommentar
Genau – und wenn's glutenfreie Stullen sind. Zur Not gibt's ja immer noch Eiskonfekt :-)