begegnung der unbeschreiblichen art

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Schlagerparty im Cluburlaub

Allein schon, dass ich überhaupt das Wagnis eines Cluburlaubs einging … Sind mir doch Gruppenaktivitäten, alles, was nach Animation riecht, und Abgeschottetsein im Urlaub ein Graus. Doch es überwogen das Verlangen, sich mal um nichts kümmern zu müssen und die Neugier. Beides wurde befriedigt. Im Übermaß.

Und wie beim Essen am üppigen Buffet, das irgendwann dazu verlockt, selbst den fiesesten Nachtisch mal auszuprobieren, bringt mich das täglich wechselnde Abendprogramm schließlich dazu, dass ich zur Schlagerparty gehe.

Mit dem Erfolg, dass ich jetzt Machwerke wie „Joanna, du Luder“, „Ich schwimm zu dir rüber“ oder „Hol dein Lasso raus“ kenne. Das Publikum ist mir natürlich von Buffet und Wellnessoase bekannt, und so mancher Tagsüber-Sporthosenträger vollzieht am Abend die Wandlung zum Polohemd mit glasigem Blick. Irgendwie Werwolf-mäßig. Und am Plattenteller steht ein DJ, der nicht vertrauenerweckend aussieht.

Jetzt spielen sie ein Udo-Jürgens-Medley und zu meinem Entsetzen kann ich alle Texte mitsingen. Alle. Und es wird noch schlimmer. Bei „Tausendmal berührt“ finde ich mich wie von Geisterhand auf der Tanzfläche wieder. Laut mitsingend, selbstredend. Doch als die Neue-Deutsche-Welle-Runde beginnt und man das Dings mit dem Bruttosozialprodukt spielt, verlasse ich sie wieder. Es gibt einfach Grenzen. Längst verdrängte Erinnerungen kommen hoch. 1982. Kinderdisco im Keller der Tanzschule. Ich bin Ü40, holt mich hier raus! „Skandal im Sperrbezirk“ schlägt mich dann endgültig in die Flucht.

Offenbar zur rechten Zeit, denn der Blick über die Schulter beim Weggehen zeigt mir die drohende Polonaise aus sonnenverbrannten Cluburlaubern und beschwipsten Animateuren, die sich schwankend auf mich zubewegt. Ich beschleunige und verschwinde um eine Ecke. Da taumelt auch schon der V-Ausschnitt vorbei, der vorhin auf der Tanzfläche ständig hinter mir herhüpfte. Ich finde einen sichtgeschützten Unterschlupf und trinke langsam meinen Prosecco aus.

Leider nur sicht- aber nicht soundgeschützt, sodass ich Bekanntschaft mit weiteren, mir bis dahin unbekannten und schleunigst aus dem Kurzzeitgedächtnis zu löschenden Karnevalsschlagern mache. Wer kommt eigentlich auf Textzeilen wie „Heute fährt die 18 bis nach Istanbul“? Mit dem leeren Glas in der Hand verlasse ich den Ort des Grauens. Passenderweise spielen sie jetzt irgendwas von Wahnsinn und Höllehöllehölle.

Foto: dwphotos/istockphoto.com

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Texterin, Redakteurin, Kolumnenschreiberin und Rumreiserin.
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3 Kommentare

  1. Vorhölle, Vorhölle, Vorhölle. Annette, ich bin stolz auf dich. Dass du dir das angetan und den Verstand dabei nicht verloren hast! Ich hätte wahrscheinlich bei Skandal im Sperrbezirk laut mitgegröhlt und bei den Udo-Jürgens-Hits gepasst. Aber ob ich nicht bei dieser Lassosache schon geflüchtet wäre? Wer weiß. Aber auch ich habe schon Abgründe erlebt. Karaoke in der Westpfalz. Da hab ich mal mit Chiquitita einen Pizzagutschein gewonnen.

  2. Karaoke, da sprichst Du etwas Grausames gelassen aus. Da hab ich auch schon diverse Male allen Mut zur Peinlichkeit zusammengenommen. Bei mir war's SOS, aber ohne Pizzagutschein. Die Lassosache war grausig, und irritierenderweise haben sie die bei der Kinderdisco auch gespielt. Das lässt doch tief blicken.

  3. Die Japaner machen Karaoke ja als Mutprobe. Wer sich einmal aus vollem Herzen vor allen Leuten blamiert hat, den schockt danach herzlich wenig. Danach hatte ich nie wieder Lampenfieber. Ist wie eine Desensibilisierung :-)